Freitag, 24. Juli 2020
Freitag, 17. Juli 2020
Fortsetzung: Bill & Melinda Die Verschwörung - Kotrovers: Pro und Contra
Bill & Melinda
Die Verschwörung - Kotrovers: Pro und Contra
Von: Izzeddin Musa <izzeddin.gaza@gmx.de>
Gesendet: Mittwoch, 15. Juli 2020 11:19
An: Izzeddin Musa <izzeddin.gaza@gmx.de>
Betreff: Freie Palästina-Stimme
Gesendet: Mittwoch, 15. Juli 2020 11:19
An: Izzeddin Musa <izzeddin.gaza@gmx.de>
Betreff: Freie Palästina-Stimme
Alte und neue Beiträge zum Stöbern. Kann nicht schaden.
Izzeddin Musa
AW: Freie
Palästina-Stimme
Von: Peter Vonnahme 15.07.2020 um 19:48
Uhr
Sehr geehrter Herr Dr. Musa,
Sie haben kürzlich bei anderer Gelegenheit sehr vernünftig reagiert.
Deshalb möchte ich Sie nochmals zu einem zweiten Nachdenken ermuntern. Es
geht um Ken Jebsen und seiner völlig überzogenen Polemik gegen eine
Impfpflicht. Erstens ist es noch unsicher, ob überhaupt ein Impfmittel
entwickelt wird und zweitens haben alle deutschen Parteien versichert, dass
eine etwaige Impfung nur auf freiwilliger Basis erfolgen wird. Keiner wird Sie
zu etwas zwingen.
Einer Freundin, die sich gegen die Corona-Schutzmaßnahmen und Impfpflicht
gewandt hat, habe ich kürzlich Folgendes geschrieben:
„ … Die von dir
erwähnten Gewährsleute beziehen sich in aller Regel auf Statistiken und
Sterbezahlen. Sie verlieren aber regelmäßig keinen Gedanken darüber, ob die
vermeintlich günstigen Zahlen die Folge davon sein könnten, dass die deutsche
Politik mit entschlossenen Gegenmaßnahmen eine ungezügelte Virusausbreitung
verhindert hat. Es ist paradox: Je besser eine Gesundheitspolitik funktioniert,
desto mehr wird sie von sog. Experten geschmäht.
Die naheliegende
Frage, ob alle Staatsführer dieser Welt verrückt sind, weil sie das Corona
Virus ernst genommen haben, stellst du dir erstaunlicherweise überhaupt nicht.
Glaubst du im Ernst alle diese Staatsfchefs einen Sprung in der Schüssel haben
und völlig grundlos etlichen Milliarden ihrer Schutzbefohlenen schwerste Opfer
abverlangen und ihre Volkswirtschaften sehenden Auges ruiniert haben? Wenn ich
vorhin schrieb „alle Staatsführer dieser Welt“, stimmt es nicht ganz: Drei
durch besonderes „Verantwortungsgefühl“ ausgewiesene Staatschefs haben
geglaubt, sie könnten sich dem internationalen Konsens verweigern. Ist es
Zufall, dass die USA, Brasilien und GB Tabellenführer in Sachen Infektions- und
Todeszahlen sind… [Neuerdings kommt Israel dazu!]
Angesichts dieser
Evidenzen fällt es mir schwer, B-Promis vom Format eines Naidoo, Hildmann,
Schweiger und Jebsen mit ihren
Verschwörungsphantasien ernst zu nehmen. Ken
Jebsen ist ein Sonderfall. Ich habe ihn bisher sehr geschätzt. Seitdem ich aber
neulich sein halbstündiges Corona Video gehört habe
bewegt
mich nur noch die Frage, was der gute Ken vorher geraucht hat. Wenn du ein
Schulbeispiel für Verschwörungsnarrative suchst, hier hast du es. Oder kannst
du mir erklären, welches deckungsgleiche Interesse China, RUS, Japan, Südkorea,
die Schweiz, der Vatikan und die EU haben, die Bill und Melinda Gates Stiftung
und Prof. Drosten zu fördern? Ich habe diese Frage bereits vor Wochen in einem
Artikel auf Telepolis aufgeworfen. Bezeichnenderweise hat sich nicht einer von
hunderten Artikelkommentatoren dieser Frage gestellt.
Wenn
ich sehe, welche Leute heute auf unseren öffentlichen Plätzen eine Rückkehr zu
Rechtsstaat, Grundrechte und Demokratie einfordern und mit welchen Argumenten
sie das begründen, schaudert es mich. Es sind viele Leute darunter, die bisher
mit den Füßen auf diesen Werten herumgetrampelt sind. Und jetzt fühlen sie sich
zu Verfassungspatrioten berufen! Manchmal habe ich den Verdacht, dass das Corona
Virus nicht nur die Lungen, sondern auch die Gehirne befällt.
Wenn Sie Interesse an einer sorgfältigen Corona Analyse (auch juristisch !)
haben, empfehle ich Ihnen meinen Artikel „Corona: Rechtsstaat auf dem
Prüfstand“ in TELEPOLIS (Anlage).
Ich wünsche Ihnen alles Gute. Und bleiben Sie gesund (ohne Impfung)!
Peter Vonnahme
Beitrag von Peter Vonnahme als Anhang in PDF-Format
Erschienen in:
TELEPOLIS
Corona: Rechtsstaat auf dem Prüfstand
21. April 2020 Peter Vonnahme
Kommen die Grundrechte unter die Räder? Zwischenruf eines Richters
Corona hat die Welt verändert wie kein Ereignis seit dem
Zweiten Weltkrieg. Das gilt unabhängig davon, wie man die Gefährlichkeit des
Virus und die zu seiner Abwehr getroffenen Maßnahmen einstuft. Auch wer diese
für unangemessen und schädlich hält, kommt an der Einsicht nicht vorbei, dass
das Virus die halbe Welt lahmgelegt hat und schon jetzt volkswirtschaftliche
Schäden in Billionenhöhe verursacht hat.
Es ist nicht einfach, in dem heftigen Meinungskampf
zwischen Corona-Verängstigten und CoronaBeschwichtigern einen verlässlichen
Standort für die eigene Position zu finden.
Bestandsaufnahme
Auffällig ist: Noch nie in der für mich überschaubaren
Zeit waren sich die für mein Wohl zuständigen politischen Instanzen so einig
wie jetzt. Bürgermeister, Landrat, Ministerpräsident, Bundeskanzlerin,
EUKommissionspräsidentin und UN-Generalsekretär stimmen in ihren Corona
Bedrohungsanalysen überein und rufen zu entschiedenem Handeln auf. Wie ist
diese Einigkeit zu erklären? Verfolgen sie gemeinsame Interessen und wenn ja -
welche?
Meine Lebenserfahrung sagt mir, es ist wenig
wahrscheinlich, dass all diese ehrenwerten Personen ausnahmslos gewissenlose
Erfüllungsgehilfen von Big Pharma sind. Andere Profiteure des globalen Shutdowns
vermag ich nicht zu erkennen. Nicht einmal das immer in Verdacht stehende
Großkapital taugt als überzeugendes Erklärungsmuster. Denn soweit erkennbar,
sind am Ende alle Verlierer, der Bettler ebenso wie der Konzernbesitzer.
Abgesehen davon, was hätten die Staatsführer dieser Welt
- von Xi Jinping über Putin, Bolsonaro, Macron und Merkel bis hin zu Papst
Franziskus und zur Queen - davon, wenn sie die ihrer Fürsorge anvertrauten
Menschen im Gleichschritt in den wirtschaftlichen und sozialen Ruin führen? Das
legt den Schluss nahe, dass die Mächtigen dieser Welt bei aller
Unterschiedlichkeit ihrer Persönlichkeiten und ihrer politischen Heimat eine
gemeinsame politische Agenda verfolgen, nämlich die Bekämpfung einer höchst
bedrohlichen Pandemie.
Selbst der tiefgründigste politische Denker der
Gegenwart, Donald J. Trump, hat angesichts der Horrorszenarien von NY zwar
nicht seine Großmäuligkeit aufgegeben, sich aber widerwillig den
Notwendigkeiten einer Seuchenbekämpfung gebeugt.
Kurzum: Ich kann mir trotz einer über Jahrzehnte
gewachsenen Politikskepsis nicht vorstellen, dass alle Verantwortungsträger
dieser Welt Mitglieder eines globalen Verschwörungssyndikats sind. Noch weniger
kann ich mir vorstellen, dass sie alle Opfer von neurotischen
Zwangsvorstellungen sind und eine Seuche bekämpfen, die es in Wirklichkeit gar
nicht gibt.
Das hauptsächliche Gegenargument der Corona-Verharmloser,
die Zahl der Erkrankten und Verstorbenen liege unter den langjährigen
statistischen Mittelwerten, taugt nicht wirklich als Beruhigungspille. Denn zum
einen stehen wir noch am Anfang eines Jahres. Zum anderen sprechen gute Gründe
dafür, dass die von der Politik verordneten Abwehrmaßnahmen zu einer
Verlangsamung der Virusausbreitung geführt haben. Außerdem sind die
Horrorbilder von Bergamo, Brescia und NY nicht dazu angetan, die Letalität des
Corona Virus in Zweifel zu ziehen. Doch noch wissen wir nicht genau, wer Recht
hat und wer falsch liegt. Am Jahresende werden wir klarer sehen.
Neue Fragestellungen
Es zeichnet sich bereits ab, dass zumindest vorübergehend
der Streit über die Gefährlichkeit des Corona Virus in den Hintergrund tritt.
Dafür gewinnt die Frage an Gewicht, was die angeordneten Verbote für das
gesellschaftliche Leben bedeuten.
Mehrere Anrufer beklagen, dass die verfassungsrechtlich
verbrieften Grund- und Freiheitsrechte unter die Räder gekommen seien. Einer
moniert, dass wir gerade Zeugen des Übergangs einer Demokratie in einen
autoritären Staat sind. Ein weiterer äußert die Sorge, dass der Deutsche
Bundestag ein Ermächtigungsgesetz für die Regierung erlassen habe. Eine
Heidelberger Anwältin hat Rechtsschutz durch das Bundesverfassungsgericht
beantragt. Nach ihrer Meinung drohen die "vollständige Beseitigung des
Bestands der Bundesrepublik Deutschland" und eine "beispiellose
Beschränkung fast aller Grundrechte von 83 Millionen Bürgern" und die
"Errichtung eines diktatorischen Polizeistaats". Auch wenn man diese
Lagebeurteilung nicht teilt, gemeinsam ist allen Fragen die Sorge, dass der
Rechtsstaat durch Corona in Gefahr ist.
Beengte Freiräume
Richtig an den aufgeworfenen Fragen ist, dass in den
letzten Wochen rigoros in unsere Freiräume eingegriffen worden ist. Noch nie in
der Geschichte der Bundesrepublik sind Grundrechte so flächendeckend und so
radikal eingeschränkt worden.
Als sie in das Grundgesetz geschrieben worden sind, lag
Deutschland in Schutt und Asche. Heute, 70 Jahre später, stehen sie -
jedenfalls nach Meinung vieler umtriebiger Blogger - nur noch auf dem Papier.
Die Wohnung darf nur noch verlassen werden, wenn triftige Gründe vorliegen. Der
Besuch von Kindergärten, Schulen, Unis, Gottesdiensten, Kinos, Theatern,
Sportplätzen, Veranstaltungen, Gaststätten - bis auf weiteres ausgesetzt. Kein
Spaziergang mehr mit Freunden, auch kein Gang zum Friseur. Nicht einmal die
kranke Großmutter im Altenheim darf besucht werden. Nur gestorben werden darf
noch wie bisher, aber bei der Beerdigung gelten starke Restriktionen. Heribert
Prantl meint, das Virus habe nicht nur Menschen befallen, sondern auch den
Rechtsstaat.
Grenzen der Grundrechte
Man muss kein Jurist sein, um zu erkennen, dass die
genannten Verbote u. a. das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit (Art.
2 Abs. 1 GG), das Recht auf ungestörte Religionsausübung (Art. 4 Abs. 2 GG),
die Versammlungsfreiheit (Art. 8 Abs. 1 GG) und die Berufsfreiheit (Art. 12
Abs. 1 GG) einschränken.
Das besagt aber nicht, dass die Beschränkungen
schlechthin unzulässig sind. Denn entgegen einem verbreiteten Missverständnis
sind Grundrechte keine absoluten Rechte in dem Sinne, dass jede Einschränkung
verfassungswidrig wäre.
Diese Erkenntnis ist im Grunde banal, aber sie ist kaum
im Bewusstsein der Menschen. Das ist verwunderlich, denn wir kennen aus unserem
Alltagsleben viele massive Begrenzungen unserer Freiheitsrechte. Kein
Autofahrer darf unter Berufung auf das Grundrecht auf freie Entfaltung der
Persönlichkeit auf der linken Fahrbahnhälfte oder mit 100 km/h durch einen Ort
fahren. Der Gesetzgeber hat der individuellen Freiheit durch das StVG und die
StVO Beschränkungen (Verkehrsregeln) auferlegt.
Das ist kein Verfassungsverstoß. Denn die Beschränkungen
sind durch das Grundgesetz gedeckt. Art. 2 Abs. 2 Satz 3 GG sagt wörtlich:
"In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen
werden." Weiteres Beispiel: Art. 8 Abs. 2 GG besagt: "Für
Versammlungen unter freiem Himmel kann dieses Recht durch Gesetz oder auf Grund
eines Gesetzes beschränkt werden." Auch die Eigentumsgarantie ist nicht
unbeschränkt. Denn Art 14 Abs. 1 GG lautet: "Inhalt und Schranken [des
Eigentums] werden durch die Gesetze bestimmt." Das ist der rechtliche
Grund, warum wir Steuern bezahlen müssen.
Zwischenergebnis: Die genannten Grundrechte stehen unter
einem verfassungsmäßigen "Gesetzesvorbehalt". Sie dürfen vom
einfachen Gesetzgeber beschränkt werden. Will der Gesetzgeber hiervon Gebrauch
machen, dann muss er bestimmte im GG geregelte Schranken beachten, wie etwa das
Zitiergebot, d. h. das einzuschränkende Grundrecht muss benannt werden (vgl.
Art. 19 Abs. 1 Satz 2 GG), die Wesensgehaltsgarantie, d. h. das Grundrecht darf
in seinem Kern nicht angetastet werden (vgl. Art. 19 Abs. 2 GG) oder das
Übermaßverbot (Verhältnismäßigkeitsprinzip).
Bundesinfektionsschutzgesetz
Nach Ausbruch der Corona-Pandemie hat der
Bundesgesetzgeber das seit 2000 geltende Infektionsschutzgesetz (IfSG) durch
das "Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von
nationaler Tragweite" vom 27. März 2020 umfassend geändert. Zweck des mit
"heißer Nadel" gestrickten Gesetzes ist es, übertragbaren Krankheiten
beim Menschen vorzubeugen, Infektionen frühzeitig zu erkennen und ihre
Weiterverbreitung zu verhindern.
Das IfSG umfasst auf 58 Seiten zahlreiche Regelungen und
Ermächtigungen der Gesundheitsbehörden zum Erlass von Einzelanordnungen (sog.
Verwaltungsakte). Ferner werden die Landesregierungen zum Erlass von
Rechtsverordnungen ermächtigt. § 32 IfSG regelt für diesen Fall ausdrücklich,
dass die Grundrechte der Freiheit der Person (Artikel 2 Abs. 2 Satz 2 GG), der
Freizügigkeit (Artikel 11 Abs. 1 GG), der Versammlungsfreiheit (Artikel 8 GG),
der Unverletzlichkeit der Wohnung (Artikel 13 Abs. 1 GG) und des Brief- und
Postgeheimnisses (Artikel 10 GG) eingeschränkt werden können. Damit ist dem
Art. 19 Abs. 1 Satz 2 GG Folge geleistet; insoweit bestehen gegen die formelle
Verfassungsmäßigkeit der Beschränkungen keine Bedenken.
Landesgesetzgebung
Gestützt auf die Ermächtigung im IfSG haben die
Bundesländer ergänzende Rechtsverordnungen erlassen. Daneben bestehen noch
Infektionsschutzgesetze der Bundesländer, z. B. das Bayerische
Infektionsschutzgesetz (BayIfSG) vom 25. März 2020. In der Zusammenschau all
dieser Rechtsgrundlagen zeigt sich, dass Bund und Länder den
Gesundheitsverwaltungen ein breites Instrumentarium zur Bekämpfung von
Seuchengefahren zur Verfügung gestellt haben.
Die entscheidende Frage der Zukunft wird sein, ob die
vielen in den Gesetzen und Verordnungen enthaltenen Regelungen auch
materiellrechtlich den strengen Anforderungen des Grundgesetzes gerecht werden.
Dies erfordert genaue Überprüfungen im Einzelfall. Es ist jetzt schon absehbar,
dass diese Verfahren die Verwaltungsgerichtsbarkeit und das
Bundesverfassungsgericht über Jahre hinaus auslasten werden.
Schwierige Abwägungen
Die Politik hatte in den letzten Wochen schwierige
Abwägungsentscheidungen zwischen Gesundheitsschutz, Freiheitswunsch der
Menschen, den Interessen der Wirtschaft und der Arbeitnehmer, der Schulen, der
Glaubensgemeinschaften, der Kultur und des Sports sowie der öffentlichen
Finanzen zu treffen. Erschwert wurde das durch den enormen Zeitdruck, unter dem
angesichts der Pandemie gehandelt werden musste. Vertiefte
verfassungsrechtliche Vorabprüfungen waren kaum möglich.
Bemerkenswert ist, dass die Verbote in der Gesellschaft
auf große Zustimmung stießen. Oft hatte ich den Eindruck, dass die Akzeptanz
umso größer war, je tiefer die Einschnitte in das Alltagsleben waren. Motto:
Viel hilft viel. Aufbegehren gab es nur, als das Handy-Tracking ins Gesetz
geschrieben werden sollte. Die Schriftstellerin Juli Zeh bemerkte hierzu, offensichtlich
sei den Menschen ihr Handy wichtiger als ihre Bewegungsfreiheit.
Es wäre vermessen, im Rahmen dieses Artikels Aussagen zur
Rechtmäßigkeit einzelner Maßnahmen zu machen. Dies schließt jedoch nicht aus,
einige Prüfkriterien zu benennen:
-
Es besteht allseits
Einigkeit, dass die Folgen der Virusbekämpfung nicht schlimmer sein dürfen als
die zu bekämpfende Ursache (das Virus).
-
Es muss immer das
mildestmögliche Mittel angewandt werden. Außerdem muss jede Einschränkung von
Grundrechten geeignet, erforderlich und verhältnismäßig sein. Dies wäre dann
nicht der Fall, wenn ein bestimmtes Verbot nicht geeignet wäre, die
Virusausbreitung zu verhindern oder wenn ein weniger stark eingreifendes Mittel
denselben Zweck erfüllen würde. Besondere Wachsamkeit ist immer dann geboten,
wenn die Politik ihre Maßnahmen als alternativlos bezeichnet und Zweifel mit
dem lapidaren Hinweis auf die Verhältnisse in Italien oder Spanien abtut.
-
Eine offene Flanke
der Corona-Maßnahmepakete besteht darin, dass es bei ihrem Erlass "nur"
ein paar hundert Corona-Tote in Deutschland gab. Die Grippewelle von 2017/2018
hat nach amtlichen Angaben (RKI) ca. 25.000 Menschenleben gefordert, ohne dass
der Staat besondere Maßnahmen ergriffen hat. Das bedeutet, dass die jetzigen
rigorosen Verbote nur dann eine innere Rechtfertigung haben, wenn die Politik
in einer Prognoseentscheidung (worst case Einschätzung) mit einem dramatischen
Verlauf der Corona Pandemie rechnen musste. Hierbei ist nicht der heutige
Kenntnisstand maßgeblich. Vielmehr kommt es allein auf die damalige Sicht der
Politik unter maßgeblicher Einbeziehung der Expertise von anerkannten Virologen
und Epidemiologen an. Entscheidendes Kriterium war die Wertordnung des
Grundgesetzes: im Zweifel zugunsten des Lebens und der Gesundheit.
-
Ein wesentliches
Kriterium für die Rechtmäßigkeit von Grundrechtsbeschränkungen ist deren
zeitliche Dauer. Je länger ein Versammlungs- oder Demonstrationsverbot
andauert, desto gewichtiger müssen die Gründe für seine Beibehaltung sein. Denn
hierbei handelt es sich um ein elementares Grundrecht, das auch oder gerade in
Krisenzeiten von allergrößter Bedeutung ist. Ähnliches gilt für Beschränkungen
von Gottesdienstbesuchen und Besuchen naher Angehöriger in Pflegeheimen. Es ist
stets abzuwägen, ob das Ziel des Lebens- und Gesundheitsschutzes auch durch
andere Maßnahmen wie etwa Besuchs- und Teilnahmebegrenzungen, Abstandsgebote
und Maskenpflicht erreicht werden kann.
-
Der Politik ist
zugute zu halten, dass sie sich von Anfang an des Spannungsverhältnisses
zwischen Grundrechtsbeschränkungen und deren Dauer bewusst war. Das zeigt sich
an den eng begrenzten Laufzeiten der erlassenen Verbotsregelungen. Ergänzend
wird in kurzen Zeitabständen überprüft, ob und welche Verbote gelockert werden
können. Das ist ein Indiz dafür, dass die Verantwortlichen an einer schnellen
Beendigung des Ausnahmezustands interessiert sind. Die Gefahr eines autoritären
Umbaus von Rechtsstaat und Demokratie sehe ich derzeit nicht.
Ausblick
Ich vermute, dass die
Gerichte demnächst die Frage beschäftigen wird, welche rechtlichen Folgen es
hat, wenn der Gesetzgeber weiterhin mögliche Schutzvorkehrungen wie etwa Masken
und Tracking-App verzögert. Es ist offensichtlich, dass die Politik eine
ausreichende Ausstattung des Gesundheitssystems mit Atemmasken,
Desinfektionsmitteln und Geräten der medizinischen Intensivpflege verschlafen
hat. China und Südkorea haben schon vor Monaten bewiesen, dass sich die
Ausbreitung der Pandemie durch solche Schutzmaßnahmen entscheidend eindämmen
lässt. Spätestens Ende Februar war auch hierzulande absehbar, dass Corona auf
ein schlecht vorbereitetes Gesundheitssystem treffen wird.
Die Politik wird auf lange
Zeit gefordert sein, eine Balance zwischen Leben und Gesundheit einerseits und
Wirtschaft und Wohlstand andererseits zu finden. In einer Mail stand in größter
Verdichtung, es sei die Entscheidung zwischen Opa und Bruttosozialprodukt. Das
Dilemma besteht darin, dass jede Entscheidung für das Leben (etwa durch
Verlängerung von Ausgangsbeschränkungen) ebendieses Schutzgut Leben auf andere
Weise gefährden kann (Existenzverlust, Hunger, Gewaltexzesse, Suizide).
Lockerungen
Seit sich die Corona
Ansteckungskurve etwas abgeflacht hat, werden aus bestimmten Kreisen des
Handels und der Wirtschaft Lockerungsübungen gefordert. Fatal ist, je mehr
darüber geredet wird, desto stärker wird der Druck auf die Entscheidungsträger.
Es ist beobachtbar, dass Personen, die sich derzeit um Posten und Ämter
bemühen, diesem Erwartungsdruck immer mehr nachgeben.
Gleichzeitig warnen ernst zu nehmende
Wissenschaftler vor Leichtsinn in der jetzigen Phase. Eine verfrühte Öffnung
der Schleusen könne zu neuen, schwer kontrollierbaren Infektionswellen führen
und begleitend dazu zu Motivationsverlusten der Menschen. Deshalb empfehlen
besorgte Stimmen, die Restriktionen noch ein paar Wochen beizubehalten,
zumindest solange bis ein Dreierpack aus genügend Schutzausrüstung,
Tracking-App und Laborkapazitäten für verlässliche Testverfahren zur Verfügung
stehen. So vorbereitet lasse sich die Zeit bis zum Vorhandensein wirksamer
Medikamente oder einer Schutzimpfung ohne das Risiko großer Rückschläge
überbrücken.
Schlusswort
Es ist verantwortungslos zu
behaupten, dass wir jetzt in grundrechtsfreien Zeiten leben. Diese
vermeintlichen "Schutzpatrone der Grundrechte" haben entweder nicht
begriffen, wie Grundrechte funktionieren, oder es liegt ihnen daran,
Verunsicherung zu erzeugen.
Wo Menschen handeln,
geschehen Fehler. Die meisten der jetzt sichtbar gewordenen Fehler liegen
ursächlich in der Vergangenheit. Neue Fehler dürften vorwiegend auf
Fehleinschätzungen der aktuellen Lage oder auf juristischen Abwägungsdefiziten
beruhen. Ein Hauptproblem der nächsten Zeit wird die Abgrenzung sein, was
wieder erlaubt wird und was nicht. Jede Öffnung eines Teilbereichs wird Unverständnis
bei denen auslösen, deren Betrieb weiterhin geschlossen bleibt.
Die Erfahrung lehrt, dass
eine Befreiung von einem Verbot zehn weitere Befreiungsanträge
("Bezugsfälle") nach sich zieht, eine ertragreiche Nährwiese für
Anwaltskanzleien. Das Bundesverfassungsgericht und die Verwaltungsgerichte
haben inzwischen die ersten Korrekturen - vorwiegend im Bereich des
Versammlungsrechts - vorgenommen. Hunderte werden folgen.
Das Frühjahr 2020 hat uns
vor schwere Herausforderungen gestellt. Auch im Sommer wird es noch bedrückende
soziale Abstürze geben. Und viele Menschen werden noch Opfer des Corona Virus
werden. Es wird vermutlich lange dauern, bis wieder normale Verhältnisse
herrschen. Mehr als das: Wahrscheinlich wird das neue Normale anders sein als
es das alte war.
Aber ich bin zuversichtlich,
dass der Rechtsstaat die Prüfung bestehen wird.
Peter Vonnahme war bis zu
seiner Penionierung Richter am Bayerischen Verwaltungsgerichtshof in München.
Er ist Mitglied der deutschen Sektion der International Association of Lawyers
Against Nuclear Arms (IALANA). Von 1995 bis 2001 war er Mitglied des
Bundesvorstandes der Neuen Richtervereinigung (NRV).
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