Von: Izzeddin Musa
27.05.2019 um 10:09 Uhr
An: Norbert Röttgen
Sehr geehrter Herr Dr. Röttgen,
gerne leite ich diesen Beitrag von Amira Hass an Sie weiter. Es wurde mich
sehr interessieren, wie Sie sich bei der Abstimmung zu BDS
verhalten haben.
Für eine Nachricht von Ihnen danke bereits im Voraus.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Izzeddin Musa
Anschrift
Haaretz 19. 05. 2019
Israel spricht von Sieg nach
Deutschlands BDS-Verbot, das den Holocaust kleiner macht
Amira Hass
Der Bundestag
hat die Boykottaufrufe einer Organisation gegen die Besatzung mit jenen
gleichgesetzt, die man in den 1930er Jahren in Deutschland gehört hat. Dieser
Schritt ist für die israelische Regierung ein gelungener Coup – und macht den
Nazi-Antisemitismus kleiner.
Der Beschluss,
der letzte Woche vom deutschen Parlament verabschiedet worden ist, und der die
Boykott-, Investitionsabzugs- und Sanktionsbewegung als antisemitisch
bezeichnet, ist widerlich. Als Tochter von Überlebenden der Transportzüge, die
nur aus Zufall nicht das für sie vom Dritten Reich geplante Ende erlebt haben,
stinkt diese Resolution ganz besonders nach Verkleinerung der Ziele und der
Ergebnisse des Nazi-Antisemitismus. Jeder Vergleich zwischen den Juden in Deutschland
während der 1930er Jahre und dem heutigen Israel ist diesbezüglich ein Akt der
Minimalisierung für die Agenda des Staates, der 1948 durch die Vertreibung der
Nation, die hier lebte, etabliert wurde, und der ist jetzt eine Militärmacht,
die über 5 Millionen rechtlose Palästinenser herrscht.
Der Beschluss
zieht einen nicht tolerierbaren Vergleich zwischen den Aufrufen zum Boykott
jüdischer Geschäfte in Nazi-Deutschland und dem logischen Aufruf zum Boykott
oder zum Verhängen von Sanktionen über eine stärkere Macht, deren Institutionen
und Gesetze und deren mehrheitliche Bevölkerung mehr denn je dem Projekt
widmen, die Palästinenser, deren Wurzeln und Rechte in ihrem Heimatland liegen,
als Kollektiv zum Verschwinden zu bringen.
Dieser Vergleich
macht wütend und ist eine Leugnung der Geschichte. Denn was ist die
offensichtliche Schlußfolgerung eines Vergleichs, der den ganzen historischen
und institutionalen Kontext herabstuft? Die Schlußfolgerung ist, dass die
Palästinenser wie die Nazis sind, und dass die jüdischen Hausierer, die von
Polen nach Berlin auswanderten, oder die jüdischen Eigentümer großer Verlage in
Frankfurt zu jener Zeit mächtig und in der Lage waren, es mit den Wellen der
Sturmabteilung aufzunehmen – (und) gerade so mächtig und fähig (waren) wie
Israel heute. Die Entscheidung ist auch eine Quelle der Verzweiflung
(Hoffnungslosigkeit). Wenn es eine geringe Chance gäbe, die Israelis von sich
selbst und von ihrem Job, mit dem sie sich so sehr identifizieren – dem von
Gefängniswärtern, die zur Herrenrasse gehören - zu retten, dann nur mit den
Mitteln von Boykott, Investitionsabzug und Sanktionen. Nicht gegen irgendwelche
Auftritte eines Künstlers, aber gegen internationale Unternehmen, gegen
israelischen Tourismus im Ausland, gegen freundliche Empfänge rassistischer
israelischer Politiker in Hauptstädten der Welt, gegen Handelsbeziehungen mit
israelischen Entwicklern von Waffen, die ihre Waren an die mörderischsten
Regime in der heutigen Welt verkaufen.
Wir können mit
BDS über die offizielle Absichtserklärung und die tatsächliche Umsetzung, die
Widersprüche zwischen Erklärungen und Umsetzung, die politische Unbestimmtheit,
die gewählten Ziele und den Entscheidungsprozess streiten. Aber es ist ein
wirkliches Verbrechen, die Essenz und die Wurzeln der Idee von BDS, die die
Palästinenser als ein bewußtes und politisches Mittel im Kampf gegen die
unterdrückerische Fremdherrschaft gewählt haben, so gewaltsam auszuradieren,
wie das der deutsche Beschluss macht.
Das ist ein
Regime, das ständig alle UN-Resolutionen in Bezug auf die Rechte der
Palästinenser mißachtet. Das wesentliche Bestimmungen im Völkerrecht
niedertrampelt, das die Diskriminierung der Palästinenser mit israelischer
Staatsangehörigkeit in der Gesetzgebung verankert, das die ganze Welt mit der
Art, wie es die Oslo-Abkommen manipuliert hat, betrogen hat, um einen
Genehmigungsstempel für sein siedlerkoloniales Unternehmen zu
bekommen.
Es ist ein
wirkliches Verbrechen, die Umstände, unter denen der BDS-Aufruf entstand, zu
ignorieren; mit anderen Worten, die Zeit und den Ort, in denen ein Teil des
jüdischen Volkes, der in Israel zynisch und konstant den Holocaust, unsere
ermordeten Familien, die Erinnerung ihrer vernichteten Zukunft verkauft, - um
fortzufahren, die Gegenwart und die Vergangenheit des palästinensischen Volkes
zu vernichten. Und das Verbrechen ist vom deutschen Parlament begangen worden.
Welche Schande!
Deutsche
politische Parteien haben erfahrene Gesandte in Israel: Die sozialdemokratische
Friedrich Ebert-Stiftung, die christlich-demokratische Konrad
Adenauer-Stiftung, die Heinrich Böll-Stiftung der Partei Die Grünen und die
Rosa Luxemburg-Stiftung der Linken. Sie alle haben Verbindungen zu
palästinensischen und israelischen Aktivisten und Organisationen, die
Widerstand gegen die Besatzung leisten. Sie verfügen über eine große Menge an
Information und Einblicken - die für jeden Parlamentarier und Beamten im
deutschen Außenministerium zugänglich sind - was die methodische Art und Weise
betrifft, wie Israel alle möglichen Wege für eine Veränderung und ein gemeinsam
geteiltes und würdiges Leben mit den Menschen in diesem Land, den
Palästinensern zu verhindern (gleichgültig ob in zwei Staaten, einem Staat oder
einer Konföderation; jedenfalls kennt die Geschichte kein Endstadium.) Der skandalöse
Beschluss des Parlaments wirft auch ein Licht auf die gesamten Kenntnisse und
Einblicke, die seine Botschaften gesammelt haben.
Es ist eine
direkte Weiterführung der Strategien, die sich verschiedene Länder in Europa
und der Vereinigten Staaten zu eigen gemacht haben, um Kritiker Israels zum
Schweigen zu bringen. Es ist keine Frage, dass das für Israel ein riesiger
Erfolg ist. Die Investition in NGOs (wie NGO Monitor), in das Ministerium für
Strategische Angelegenheiten und in die Schaffung eines Netzwerks von bezahlten
Volontären unter jungen Juden und Studenten-organisationen hat es selbst
bewiesen. Zusammengefasst: dank der unerschöpf-lichen finanziellen Ressourcen
und der Strategien, den internationalen Mainstream-Medien Angst zu machen,
unter anderem, haben sie die Realität erfolgreich verdreht: indem sie das
palästinensische Volk, das aufsteht, um gegen seine Enteignung zu protestieren,
als Angreifer, und Israel als ein Opfer an der Pforte von Auschwitz zu
präsentieren. Was für eine krankmachende Absurdität. Die Entscheidung, die
angeblich den Antisemitismus bekämpfen soll, ist auch ein Produkt der
raffinierten israelischen Propaganda. Raffiniertheit und die
Herstellung großer Wichtigkeit einer antisemitischen Karikatur.
Diese Worte
wurden am Samstag geschrieben, weniger als 24 Stunden nach der Verabschiedung
des Entschlusses. Noch sind nicht alle Details klar, aber ich lese mit
einer gewissen Erleichterung, dass Vertreter der Partei Die Linke nicht dafür
gestimmt haben. Wenn sie nur die Aufgabe übernehmen würden, den durch den
Beschluss entstandenen Schaden zu stoppen und gemeinsam mit BDS-Befürwortern
einen politischen Weg schmieden würden, würde das zeigen, dass Widerstand gegen
Antisemitismus und Kampf für die Rechte der Palästinenser miteinander verbunden
sind.
Übersetzung: K. Nebauer
Norbert
Röttgen Antwort:
Ihre Mail
Von: Norbert Röttgen
Wahlkreis 28.05.2019 um 08:44 Uhr
Sehr geehrter Herr Musa,
ich habe Ihre Mail vom 27. Mai erhalten. Sie fragen darin nach meinem
Abstimmungsverhalten im Hinblick auf den Antrag zu der BDS-Bewegung.
Leider konnte ich an der Abstimmung nicht teilnehmen, weil ich dienstlich im
Ausland war.
Ich habe aber gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen einen persönliche
Erklärung abgegeben, die ich zu Ihrer Kenntnis in der Anlage beifüge.
Mit freundlichem Gruß
Norbert Röttgen
Erklärung als Anhang:
Anlage
3 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Dr. Andreas Nick, Dr. Norbert
Röttgen, Roderich Kiesewetter, Norbert Maria Altenkamp, Sybille Benning, Peter
Beyer, Thomas Erndl, Dr. Maria Flachsbarth, Ursula Groden-Kranich, Manfred
Grund, Frank Heinrich (Chemnitz), Markus Koob, Andreas G. Lämmel, Antje Lezius,
Gisela Manderla, Jan Metzler, Elisabeth Motschmann, Martin Patzelt, Thomas
Rachel, Uwe Schummer und Dr. Matthias Zimmer (alle CDU/CSU) zu der Abstimmung
über den Antrag der Fraktionen CDU/CSU, SPD, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Der
BDS-Bewegung entschlossen entgegentreten – Antisemitismus bekämpfen
(Zusatztagesordnungspunkt 11) Seit knapp 15 Jahren versucht die BDS-Kampagne,
Israel politisch, wirtschaftlich und kulturell zu isolieren. Wir haben vielfach
erleben müssen, wie antisemitische Methoden aus der Bewegung Ressentiments
bedienen, die Erinnerungen an die schrecklichste Phase der deutschen Geschichte
hervorrufen. Wir lehnen diese transnationale Kampagne daher mit Nachdruck ab.
Deshalb stimmen wir dem interfraktionellen Antrag „Der BDS-Bewegung
entschlossen entgegentreten – Antisemitismus bekämpfen“ zu. Gleichfalls
bekennen wir uns nachdrücklich zum universellen Recht auf Meinungsfreiheit, das
in Deutschland wie in Israel geschützt ist. Legitime Kritik an der Politik der
israelischen Regierung darf nicht als vermeintlich antisemitisch diskreditiert
und in unangemessener Weise eingeschränkt werden. Wir nehmen die Bedenken aus
der israelischen Zivilgesellschaft in dieser Hinsicht ernst. Eine
Zweistaatenlösung mit dem friedlichen Zusammenleben zwischen dem jüdischen und
demokratischen Staat Israel und einem unabhängigen, demokratischen und
lebensfähigen palästinensischen Staat bleibt Ziel und Maßstab unserer
Nahost-Politik. Wir bekennen uns daher uneingeschränkt zur Resolution 2334 des
Sicherheitsrats der Vereinten Nationen und unterscheiden auch klar zwischen dem
Gebiet des Staates Israel in den Grenzen von 1967 und den besetzten
palästinensischen Gebieten. Die erfolgreiche Umsetzung des Friedensprozesses im
Nahen Osten kann nur durch einen nachhaltigen Versöhnungsprozess zwischen den
beteiligten Parteien gelingen. Ein umfassender Dialog sowohl innerhalb als auch
zwischen den Zivilgesellschaften in Israel und den palästinensischen Gebieten
ist deshalb notwendiger denn je. Unsere politischen Stiftungen leisten einen wichtigen
Beitrag, um einen solchen Austausch zu ermöglichen. Gerade angesichts der
zunehmenden Verschärfung der Spannungen auf beiden Seiten kommt ihnen eine
wichtige Mittlerrolle zu, die es zu bewahren gilt. Wir dürfen den Freiraum
unserer Stiftungen dabei nicht einschränken. Es muss sichergestellt sein, dass
sie ihre Arbeit weiterhin ungehindert ausüben können. Den interfraktionellen
Antrag „Der BDS-Bewegung entschlossen entgegentreten – Antisemitismus
bekämpfen“ verstehen wir als Beitrag, um den sich zunehmend ausbreitenden
antisemitischen Tendenzen entschieden entgegenzutreten. Klar ist jedoch, dass
wir hier nicht stoppen dürfen. Um dem Problem des Antisemitismus gerecht zu
werden, reicht es nicht aus, nur die BDS-Kampagne zu thematisieren. Wir
benötigen vielmehr eine breite gesellschaftliche Debatte, die wir ehrlich
führen müssen