Offener Brief von Dr. Izzeddin Musa an die Bundesregierung und Parlamentarier 16.09.2005 20:35
Sehr geehrter Herr Bundespräsident, sehr geehrter Herr Bundestagspräsident,
sehr geehrter Herr Bundeskanzler, sehr geehrter Herr Chairman of OSZE, sehr geehrte
Mitglieder des Bundestages,
20. August 2005
in der Anlage übersende ich Ihnen einen Zeitungsbericht über einen Vorgang, der
nicht skandalöser sein können hätte. Die Vorgänge, die in diesem Artikel
beschrieben werden, verlangen nach sofortigen Konsequenzen. Wenn mit einem
solch sensiblen Thema wie dem Antisemitismus so verantwortungslos umgegangen
wird, stellt sich die Frage, wie lange ein Mitglied des Deutschen Bundestages
noch Vorsitzender dieses Bundestagsgremiums bleiben kann. Darüber hinaus
repräsentiert er auch noch unser Land bei der OSZE. Diesem Spuk sollte umgehend
ein Ende gemacht werden.
Ein Blick in das Internet lässt jeden erbleichen: Wie konnte der Abgeordnete
Weisskirchen einen Linksextremisten und „Antideutschen“ wie Jörg Rensmann als
„Experten“ einladen, der keinerlei Qualifikation hat? Dort kann man nachlesen,
in welchen Kreisen sich dieser „Experte“ bewegt und welche hetzerischen und
totalitären Reden er hält. Dieser „Experte“ gehört nicht in ein
Bundestagsgremium, sondern unter Observation des Verfassungsschutzes.
Ich vermute, dass keiner von Ihnen das Protokoll dieser unsäglichen Sitzung
gelesen hat. Es dokumentiert ein trauriges Kapitel deutscher
Parlamentsgeschichte. Vielleicht aber auch nicht. Ein ähnlicher Ungeist scheint
wohl guter deutscher Tradition zu entsprechen.
Dass dieses Verhalten kein Ausrutscher von Herrn Weisskirchen war, musste ich
auf einer Tagung der Friedrich-Ebert-Stiftung vom 28. und 29. März 2001 in
Berlin persönlich erleben. Dort äußerte er sich sinngemäß, dass mein
Volk unterentwickelt und mit „normalen“ Menschen nicht gleichzusetzen
sei. Eine ähnliche Geisteshaltung findet sich nur noch in den
Äußerungen führender israelischer Politiker und Rabbiner, welche die
Palästinenser immer wieder als „Kakerlaken“, „Ungeziefer“ und „Schlangen“ u.Ä.
bezeichnet haben. Bei dem daraufhin losbrechenden Proteststurm der anwesenden
Palästinenser und einiger mutiger Deutscher machte Weisskirchen sofort einen
Rückzieher. Abweichende Meinungen konnten leider nur am Abend des ersten Tages
unter der Moderation von Gernot Erler zu Wort kommen.
Als Deutscher palästinensischer Abstammung und Mitglied der
sozialdemokratischen Partei verlange ich die sofortige Abberufung von Herrn
Weisskirchen, da er weder mein Land noch die im Bundestag vertreten Parteien
repräsentieren sollte.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Izzeddin Musa
Anlage:
http://www.freitag.de/2005/31/05310601.php
Freitag 31.8.2005
Sophia Deeg – Israels falsche Freunde
NACHBETRACHTUNG ZU EINER DEBATTE ÜBER ANTISEMITISMUS IN BERLIN Verleumdungen,
Verfälschungen und totalitäres Denken
Experte in Sachen Antisemitismus machte jüngst ein unbekannter
Diplom-Politologe bei einer öffentlichen Anhörung Furore, zu dem alle
Fraktionen des Bundestages geladen hatten. Es handelte sich um eine Debatte
über den Umgang mit den Beschlüssen, die auf der Berliner
Antisemitismus-Konferenz im April 2004 gefasst worden waren.
Bundestagsabgeordnete, hochrangige Beamte aus dem Innen- und Außenministerium
sowie namhafte Wissenschaftler wie Alfred Grosser und Brian Klug saßen auf dem
Podium, Vertreter diverser NGOs im Publikum.
Nun wäre es durchaus zu begrüßen, würde ein noch nicht Alsdurch zahlreiche
Veröffentlichungen hervorgetretener junger Akademiker als Experte ernst
genommen, der seriös zum fraglichen Thema gearbeitet hat. Davon freilich war in
besagter Runde nichts zu hören; dennoch wurde der Betreffende vom
SPD-Abgeordneten Gert Weisskirchen als "glänzend ausgewiesen"
begrüßt, "seine wissenschaftliche Arbeit" habe das dokumentiert.
Weisskirchen verwechselte den hochgelobten Jörg Rensmann offenbar mit Lars P.
Rensmann, der eigentlich als Ersatz für den verhinderten Micha Brumlik hätte
eingeladen werden sollen, ein Versehen, das von Jörg Rensmann dem Gremium
gegenüber nicht aufgeklärt wurde.
Von der fachlichen Qualifikation her scheinen die beiden Herren Rensmann
durchaus ähnlich. Beide tummeln sich in dem für Unsachlichkeit und Hetze
berüchtigten "antideutschen" Milieu um NGOs beziehungsweise
Publikationen wie Honestly Concerned und Die Jüdische.
Lars Rensmann, "der glänzend Ausgewiesene", wurde kürzlich zur
Unterlassung von Behauptungen über den Publizisten Ludwig Watzal verurteilt,
den er in plumper Weise falsch zitiert hatte, um ihm Antisemitismus
unterstellen zu können. Warum eigentlich muss man, nicht nur im Fall von
Watzal, Antisemitismus herbei lügen? Warum treibt der Antisemitismus auf
deutschen Straßen und an deutschen Stammtischen jene eilfertigen Verleumder
nicht annähernd so an wie die Diffamierung von Menschen, die einfach Israels
Politik anders beurteilen als sie selbst? Der real existierende Antisemitismus
scheint ihnen gleichgültig genug, um den schwerwiegenden Vorwurf durch
inflationären Gebrauch zu einem leeren Allgemeinplatz zu machen, der alles und
nichts beinhaltet.
Der wirkliche Skandal jedoch ist das Verhalten von Parlamentariern wie
Weisskirchen, die das Thema Antisemitismus mit sträflicher Leichtfertigkeit
behandeln und "Experten", die sich vorgeblich dem Kampf gegen den
Antisemitismus verschrieben haben, ein Forum bieten. Da darf der
"Experte" Rensmann herum schwadronieren: "Wir haben es zum
Beispiel in Frankreich mit dem Phänomen zu tun, dass sowohl islamischer als
auch arabischer Antisemitismus in gewisser Weise nach Europa
zurücktransportiert ... und hier vor allem von linken Basisbewegungen
aufgegriffen wird." Äußerungen, die allein schon der verwendeten
Begrifflichkeiten und postulierten Zusammenhänge wegen keiner Überprüfung standhalten.
Ein Phänomen wie der Antisemitismus, das genuin europäischer Provenienz und
Prägung ist, soll "islamisch" oder "arabisch" sein und nach
Europa "zurücktransportiert" werden? Falls es - selten belegt
- in Frankreich oder Deutschland Überfälle auf jüdische Bürger oder
Übergriffe auf jüdische Einrichtungen durch arabisch stämmige Europäer oder
aufgrund religiöser (muslimischer) Motive gegeben hat, wäre dies -
wissenschaftliche Redlichkeit vorausgesetzt - nicht unbesehen mit dem
Begriff des Antisemitismus zu belegen. Und dass "linke
Basisbewegungen" den von Benzmann behaupteten "arabischen" oder
"islamischen Antisemitismus" aufgreifen würden, wird auch durch
wiederholte Behauptung nicht wahrer.
Wenigstens die Ausführungen zweier geladener Experten, die beide nicht in
Deutschland leben, atmeten einen anderen Geist, die von Alfred Grosser aus
Frankreich und Brian Klug aus den USA. Während deren Vorredner immer wieder für
klare Definitionen als Grundlage einer Bekämpfung des Antisemitismus plädiert,
doch mit unbewiesenen Thesen hantiert hatten, war es klug, der einen
konstruktiven Beitrag zur Klärung leistete. Er klopfte den diffusen Begriff vom
"Existenzrecht Israels" auf seine möglichen Bedeutungen hin ab und
ging der Frage nach, ob es antisemitisch sei, das Recht Israels auf Existenz zu
verneinen. Jörg Rensmann antworte, Klug verkenne den Vernichtungswillen der
Hamas, ein aufschlussreiches Eingeständnis des Unvermögens, eine
Begriffsklärung von der Aussage über real existierende politische Akteure zu
unterscheiden.
Alfred Grosser seinerseits wurde in erschreckender Weise von fast allen, die
sich nach ihm zu Wort meldeten, ins Abseits gestellt und vom Vorsitzenden nicht
in Schutz genommen. Vielmehr distanzierte sich dieser sofort, nachdem Grosser
sein Statement beendet hatte. Ralf Schröder (ebenso wie Jörg Rensmann von Die
Jüdische, Berlin) zeigte sich "befremdet", dass Grossers
Positionen "ernsthaft und relevant in diesem Hause diskutiert"
würden.
Abraham Haim Dzialowski (Initiative 9.November) fand
gar, Grosser gehöre "normalerweise nicht in diese Runde", ein
pauschales Verdikt, ohne auf ein Argument des Franzosen einzugehen. Was hatte
der Ungeheuerliche gesagt, dass ein ganzes Forum nicht einmal darüber reden
wollte?
Grosser hatte aus seiner Sicht die Frage beantwortet, was es heiße, Israel zu
kritisieren, da die Abgrenzung von Israelkritik und Antisemitismus doch wohl
Thema der Veranstaltung sei. Es gehe nicht nur um die Politik Israels, es gehe
um Verbrechen. Er sprach damit aus, was auch viele Israelis, selbst führende
Vertreter des Establishments, inzwischen aussprechen wollen, weil ihnen ihr
Land am Herzen liegt. Grosser begründete seinen kritischen Blick mit seiner
jüdischen Identität, wie er sein kritisches Engagement während des
Algerienkrieges mit seiner französischen Identität und sein kritisches
Engagement gegenüber Nachkriegsdeutschland mit seiner deutschen Herkunft und
seinen republikanischen Überzeugungen begründet hatte. Dies habe ihm geboten,
sich einzumischen, wenn die Bundesrepublik von demokratischen Prinzipien
abzuweichen drohte, wie zu Zeiten der Berufsverbote. Schließlich hatte Grosser
gefragt, was Juden gegen Antisemitismus tun könnten, und gefolgert: "Es
fördert den Antisemitismus, wenn man nicht zugleich (mit dem Kampf gegen
Antisemitismus) andere Rassismen bekämpft."
Damit steht er unter französischen Juden durchaus nicht allein. Die ‚Union
Juive Française pour la Paix’ etwa arbeitet eng mit der ‚Association des
Travailleurs Maghrébin de France’ zusammen und ist wie diese selbstverständlich
Teil antirassistischer Bündnisse. Grossers Argumentation, die man humanistisch
und republikanisch nennen könnte, war für deutsche Parlamentarier und Experten
in Sachen "Antisemitismus" unerträglich. Eine wahrlich gespenstische
Situation.
Immerhin durchbrachen zwei Abgeordnete das menschlich vollkommen inakzeptable
Verhalten der Runde; Sibylle Pfeiffer und Beatrix Philipp, beide CDU, gestanden
Grosser das Recht zu, eine abweichende Meinung zu äußern, und bedauerten, dass
niemand argumentativ mit ihm streiten wolle.
Wie kommt es in einem solchen, für die politische Kultur der Bundesrepublik
einigermaßen verbindlichen Gremium zu einer derart monolithischen, geradezu
totalitär verfestigten Ideologie zum Thema Antisemitismus und Israel? Wie kommt
es, dass Dr. Juliane Wetzel, Mitarbeiterin eines anerkannten Instituts wie des
Zentrums für Antisemitismusforschung in Berlin, sich in teils nebulösen, teils
schlicht falschen Behauptungen verliert und das ausgerechnet bei einem Thema,
das größte Sorgfalt verlangt? Wetzel behauptete, "Teile der
globalisierungskritischen Bewegung und der pro-palästinensischen Linken in ganz
Europa" bedienten sich heute "neu geschaffener antisemitischer
Stereotypen". Antisemitische Konnotationen hätten sich insofern
grundlegend geändert, als an Stelle der Juden der Zionismus und besonders
Israel getreten seien. Der Begriff "Jude" werde durch
"Zionist" ersetzt.
Aber es gehört eindeutig zur Terminologie von Rechtsextremisten, abwechselnd
von "Israel" und "den Juden" zu reden. Weder haben sich
globalisierungskritische Gruppen noch die pro-palästinensische
Linke in Europa, welche die Expertin Wetzel offenbar nur vom Hörensagen kennt,
derart artikuliert. In beiden Strömungen arbeiten besonders zahlreich Juden und
Araber zusammen. Das könnte Frau Wetzel erleben, würde sie gelegentlich ein
Europäisches oder ein Weltsozialforum besuchen und diese Bewegungen dort
beobachten.
Was mich an jener Gesprächsrunde so erschreckt hat, ist ein Ungeist, der in
Deutschland nicht nur salonfähig ist, sondern den öffentlichen Diskurs
dominiert. Eine derart fanatische Parteinahme für "Israel", für ein
abstraktes, monolithisches Israel jenseits aller Facetten der dortigen Gesellschaft,
jenseits lebendiger, kritischer und selbstkritischer Debatten, fernab der
Lebensrealität von Israelis und Palästinensern, spiegelt eine Geisteshaltung,
wie sie in Deutschland traurige Tradition hat. Gegenüber diesen falschen
Freunden möchte man die israelische Gesellschaft verteidigen. Sie ist nicht
totalitär und menschenverachtend, wie sie von diesen "Freunden"
beschrieben wird!
Alles sträubt sich angesichts rassistischer Verallgemeinerungen, als seien
nicht nur "die Israelis", sondern auch "die Juden" als
solche alle gleich in ihren Interessen, ihren Ambitionen, ihren politischen
Einstellungen, als seien sie alle unmittelbar mit dem israelischen Staat,
dessen Politik oder dem zionistischen Projekt zu identifizieren. Wie kann man
so verächtlich sein, die vielen Juden in Israel und weltweit zu ignorieren oder
als "self-hating Jews" abzustempeln, die "not in my name!"
rufen.
Von Izzeddin Musa finden Sie auch einen an Außenminister Fischer gerichteten
Brief auf politonline. Was den Antisemitismus, ein offenbar
nie zum Erlöschen kommendes Thema betrifft, so ist von Norman G. Finkelstein,
dem Autor der ‚Holocaust-Industrie’ soeben ein weiteres Werk mit folgendem
Titel erschienen: Beyond Chutzpah - On the Misuse of Anti-Semitism and
the Abuse of History.
University of
California Press 2005; ISBN-Nr.: 0-520-24598-9
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