Montag, 8. Februar 2021

Israelische Journalistin Amira Hass zum Beschluss des Bundestags, BDS als antisemitisch zu brandmarken

 

Von: Izzeddin Musa                                                               27.05.2019 um 10:09 Uhr

An: Norbert Röttgen

 

Sehr geehrter Herr Dr. Röttgen,

 

gerne leite ich diesen Beitrag von Amira Hass an Sie weiter. Es wurde mich sehr interessieren, wie Sie sich bei der Abstimmung zu BDS verhalten haben.

 

Für eine Nachricht von Ihnen danke bereits im Voraus.

 

 

Mit freundlichen Grüßen

 

Dr. Izzeddin Musa

Anschrift

 

Haaretz 19. 05. 2019

 

http://www.haaretz.com/misc/article-print-page/.premium-israel-claims-victory-after-germany-s-bds-ban-and-minimizes-holocaust-on-the-way-1.7256447

 

Israel spricht von Sieg nach Deutschlands BDS-Verbot, das den Holocaust kleiner macht

 

Amira Hass

Der Bundestag hat die Boykottaufrufe einer Organisation gegen die Besatzung mit jenen gleichgesetzt, die man in den 1930er Jahren in Deutschland gehört hat. Dieser Schritt ist für die israelische Regierung ein gelungener Coup – und macht den Nazi-Antisemitismus kleiner.

 

Der Beschluss, der letzte Woche vom deutschen Parlament verabschiedet worden ist, und der die Boykott-, Investitionsabzugs- und Sanktionsbewegung als antisemitisch bezeichnet, ist widerlich. Als Tochter von Überlebenden der Transportzüge, die nur aus Zufall nicht das für sie vom Dritten Reich geplante Ende erlebt haben, stinkt diese Resolution ganz besonders nach Verkleinerung der Ziele und der Ergebnisse des Nazi-Antisemitismus. Jeder Vergleich zwischen den Juden in Deutschland während der 1930er Jahre und dem heutigen Israel ist diesbezüglich ein Akt der Minimalisierung für die Agenda des Staates, der 1948 durch die Vertreibung der Nation, die hier lebte, etabliert wurde, und der ist jetzt eine Militärmacht, die über 5 Millionen rechtlose Palästinenser herrscht.

Der Beschluss zieht einen nicht tolerierbaren Vergleich zwischen den Aufrufen zum Boykott jüdischer Geschäfte in Nazi-Deutschland und dem logischen Aufruf zum Boykott oder zum Verhängen von Sanktionen über eine stärkere Macht, deren Institutionen und Gesetze und deren mehrheitliche Bevölkerung mehr denn je dem Projekt widmen, die Palästinenser, deren Wurzeln und Rechte in ihrem Heimatland liegen, als Kollektiv zum Verschwinden zu bringen.

Dieser Vergleich macht wütend und ist eine Leugnung der Geschichte. Denn was ist die offensichtliche Schlußfolgerung eines Vergleichs, der den ganzen historischen und institutionalen Kontext herabstuft? Die Schlußfolgerung ist, dass die Palästinenser wie die Nazis sind, und dass die jüdischen Hausierer, die von Polen nach Berlin auswanderten, oder die jüdischen Eigentümer großer Verlage in Frankfurt zu jener Zeit mächtig und in der Lage waren, es mit den Wellen der Sturmabteilung aufzunehmen – (und) gerade so mächtig und fähig (waren) wie Israel heute. Die Entscheidung ist auch eine Quelle der Verzweiflung (Hoffnungslosigkeit). Wenn es eine geringe Chance gäbe, die Israelis von sich selbst und von ihrem Job, mit dem sie sich so sehr identifizieren – dem von Gefängniswärtern, die zur Herrenrasse gehören - zu retten, dann nur mit den Mitteln von Boykott, Investitionsabzug und Sanktionen. Nicht gegen irgendwelche Auftritte eines Künstlers, aber gegen internationale Unternehmen, gegen israelischen Tourismus im Ausland, gegen freundliche Empfänge rassistischer israelischer Politiker in Hauptstädten der Welt, gegen Handelsbeziehungen mit israelischen Entwicklern von Waffen, die ihre Waren an die mörderischsten Regime in der heutigen Welt verkaufen.

Wir können mit BDS über die offizielle Absichtserklärung und die tatsächliche Umsetzung, die Widersprüche zwischen Erklärungen und Umsetzung, die politische Unbestimmtheit, die gewählten Ziele und den Entscheidungsprozess streiten. Aber es ist ein wirkliches Verbrechen, die Essenz und die Wurzeln der Idee von BDS, die die Palästinenser als ein bewußtes und politisches Mittel im Kampf gegen die unterdrückerische Fremdherrschaft gewählt haben, so gewaltsam auszuradieren, wie das der deutsche Beschluss macht.

Das ist ein Regime, das ständig alle UN-Resolutionen in Bezug auf die Rechte der Palästinenser mißachtet. Das wesentliche Bestimmungen im Völkerrecht niedertrampelt, das die Diskriminierung der Palästinenser mit israelischer Staatsangehörigkeit in der Gesetzgebung verankert, das die ganze Welt mit der Art, wie es die Oslo-Abkommen manipuliert hat, betrogen hat, um einen Genehmigungsstempel für sein siedlerkoloniales Unternehmen zu bekommen.

Es ist ein wirkliches Verbrechen, die Umstände, unter denen der BDS-Aufruf entstand, zu ignorieren; mit anderen Worten, die Zeit und den Ort, in denen ein Teil des jüdischen Volkes, der in Israel zynisch und konstant den Holocaust, unsere ermordeten Familien, die Erinnerung ihrer vernichteten Zukunft verkauft, - um fortzufahren, die Gegenwart und die Vergangenheit des palästinensischen Volkes zu vernichten. Und das Verbrechen ist vom deutschen Parlament begangen worden. Welche Schande!

Deutsche politische Parteien haben erfahrene Gesandte in Israel: Die sozialdemokratische Friedrich Ebert-Stiftung, die christlich-demokratische Konrad Adenauer-Stiftung, die Heinrich Böll-Stiftung der Partei Die Grünen und die Rosa Luxemburg-Stiftung der Linken. Sie alle haben Verbindungen zu palästinensischen und israelischen Aktivisten und Organisationen, die Widerstand gegen die Besatzung leisten. Sie verfügen über eine große Menge an Information und Einblicken - die für jeden Parlamentarier und Beamten im deutschen Außenministerium zugänglich sind - was die methodische Art und Weise betrifft, wie Israel alle möglichen Wege für eine Veränderung und ein gemeinsam geteiltes und würdiges Leben mit den Menschen in diesem Land, den Palästinensern zu verhindern (gleichgültig ob in zwei Staaten, einem Staat oder einer Konföderation; jedenfalls kennt die Geschichte kein Endstadium.) Der skandalöse Beschluss des Parlaments wirft auch ein Licht auf die gesamten Kenntnisse und Einblicke, die seine Botschaften gesammelt haben.

Es ist eine direkte Weiterführung der Strategien, die sich verschiedene Länder in Europa und der Vereinigten Staaten zu eigen gemacht haben, um Kritiker Israels zum Schweigen zu bringen. Es ist keine Frage, dass das für Israel ein riesiger Erfolg ist. Die Investition in NGOs (wie NGO Monitor), in das Ministerium für Strategische Angelegenheiten und in die Schaffung eines Netzwerks von bezahlten Volontären unter jungen Juden und Studenten-organisationen hat es selbst bewiesen. Zusammengefasst: dank der unerschöpf-lichen finanziellen Ressourcen und der Strategien, den internationalen Mainstream-Medien Angst zu machen, unter anderem, haben sie die Realität erfolgreich verdreht: indem sie das palästinensische Volk, das aufsteht, um gegen seine Enteignung zu protestieren, als Angreifer, und Israel als ein Opfer an der Pforte von Auschwitz zu präsentieren. Was für eine krankmachende Absurdität. Die Entscheidung, die angeblich den Antisemitismus bekämpfen soll, ist auch ein Produkt der raffinierten israelischen Propaganda. Raffiniertheit und die Herstellung großer Wichtigkeit einer antisemitischen Karikatur.

Diese Worte wurden am Samstag geschrieben, weniger als 24 Stunden nach der Verabschiedung des Entschlusses. Noch sind nicht alle Details klar, aber ich lese mit einer gewissen Erleichterung, dass Vertreter der Partei Die Linke nicht dafür gestimmt haben. Wenn sie nur die Aufgabe übernehmen würden, den durch den Beschluss entstandenen Schaden zu stoppen und gemeinsam mit BDS-Befürwortern einen politischen Weg schmieden würden, würde das zeigen, dass Widerstand gegen Antisemitismus und Kampf für die Rechte der Palästinenser miteinander verbunden sind.

Quelle: http://www.haaretz.com/misc/article-print-page/.premium-israel-claims-victory-after-germany-s-bds-ban-and-minimizes-holocaust-on-the-way-1.7256447

Übersetzung: K. Nebauer

 

Norbert Röttgen Antwort:

Ihre Mail

 

Von:  Norbert Röttgen Wahlkreis                                        28.05.2019 um 08:44 Uhr

 

 

 

Sehr geehrter Herr Musa,

ich habe Ihre Mail vom 27. Mai erhalten. Sie fragen darin nach meinem Abstimmungsverhalten im Hinblick auf den Antrag zu der BDS-Bewegung.
Leider konnte ich an der Abstimmung nicht teilnehmen, weil ich dienstlich im Ausland war.
Ich habe aber gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen einen persönliche Erklärung abgegeben, die ich zu Ihrer Kenntnis in der Anlage beifüge.

Mit freundlichem Gruß

Norbert Röttgen

 

 

Erklärung als Anhang:

 

Anlage 3 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Dr. Andreas Nick, Dr. Norbert Röttgen, Roderich Kiesewetter, Norbert Maria Altenkamp, Sybille Benning, Peter Beyer, Thomas Erndl, Dr. Maria Flachsbarth, Ursula Groden-Kranich, Manfred Grund, Frank Heinrich (Chemnitz), Markus Koob, Andreas G. Lämmel, Antje Lezius, Gisela Manderla, Jan Metzler, Elisabeth Motschmann, Martin Patzelt, Thomas Rachel, Uwe Schummer und Dr. Matthias Zimmer (alle CDU/CSU) zu der Abstimmung über den Antrag der Fraktionen CDU/CSU, SPD, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Der BDS-Bewegung entschlossen entgegentreten – Antisemitismus bekämpfen (Zusatztagesordnungspunkt 11) Seit knapp 15 Jahren versucht die BDS-Kampagne, Israel politisch, wirtschaftlich und kulturell zu isolieren. Wir haben vielfach erleben müssen, wie antisemitische Methoden aus der Bewegung Ressentiments bedienen, die Erinnerungen an die schrecklichste Phase der deutschen Geschichte hervorrufen. Wir lehnen diese transnationale Kampagne daher mit Nachdruck ab. Deshalb stimmen wir dem interfraktionellen Antrag „Der BDS-Bewegung entschlossen entgegentreten – Antisemitismus bekämpfen“ zu. Gleichfalls bekennen wir uns nachdrücklich zum universellen Recht auf Meinungsfreiheit, das in Deutschland wie in Israel geschützt ist. Legitime Kritik an der Politik der israelischen Regierung darf nicht als vermeintlich antisemitisch diskreditiert und in unangemessener Weise eingeschränkt werden. Wir nehmen die Bedenken aus der israelischen Zivilgesellschaft in dieser Hinsicht ernst. Eine Zweistaatenlösung mit dem friedlichen Zusammenleben zwischen dem jüdischen und demokratischen Staat Israel und einem unabhängigen, demokratischen und lebensfähigen palästinensischen Staat bleibt Ziel und Maßstab unserer Nahost-Politik. Wir bekennen uns daher uneingeschränkt zur Resolution 2334 des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen und unterscheiden auch klar zwischen dem Gebiet des Staates Israel in den Grenzen von 1967 und den besetzten palästinensischen Gebieten. Die erfolgreiche Umsetzung des Friedensprozesses im Nahen Osten kann nur durch einen nachhaltigen Versöhnungsprozess zwischen den beteiligten Parteien gelingen. Ein umfassender Dialog sowohl innerhalb als auch zwischen den Zivilgesellschaften in Israel und den palästinensischen Gebieten ist deshalb notwendiger denn je. Unsere politischen Stiftungen leisten einen wichtigen Beitrag, um einen solchen Austausch zu ermöglichen. Gerade angesichts der zunehmenden Verschärfung der Spannungen auf beiden Seiten kommt ihnen eine wichtige Mittlerrolle zu, die es zu bewahren gilt. Wir dürfen den Freiraum unserer Stiftungen dabei nicht einschränken. Es muss sichergestellt sein, dass sie ihre Arbeit weiterhin ungehindert ausüben können. Den interfraktionellen Antrag „Der BDS-Bewegung entschlossen entgegentreten – Antisemitismus bekämpfen“ verstehen wir als Beitrag, um den sich zunehmend ausbreitenden antisemitischen Tendenzen entschieden entgegenzutreten. Klar ist jedoch, dass wir hier nicht stoppen dürfen. Um dem Problem des Antisemitismus gerecht zu werden, reicht es nicht aus, nur die BDS-Kampagne zu thematisieren. Wir benötigen vielmehr eine breite gesellschaftliche Debatte, die wir ehrlich führen müssen