Donnerstag, 23. Februar 2017

Erbärmliche Auftritte deutscher Parlamentarier


Über den Apartheid-Vergleich vom SPD-Parteivorsitzenden Sigmar Gabriel, zur israelischen Politik im Westjordanland, haben Sie sich mit Kritik übertreffen wollen. Zum einen verlangen Sie eine Entschuldigung für den „Totalausfall“, zum anderen bezeichnen den Vergleich als „inakzeptabel“.  Abgesehen von ihren Ausfällen im Lande (Hofgeismar, Rentner-Schreck, Hartz IV), die hier nicht zur Debatte stehen, werde ich mich nur auf Ihre Angriffe gegen den Apartheid-Vergleich beschränken.

Für Sie heißt es zunächst, wer endlich einmal die Wahrheit ausspricht, muss sich dafür entschuldigen, da das inakzeptabel sei. Nach dem Motto, Wahrheit tut weh, erscheint mir Ihr Auftritt um so erbärmlicher. Denn, wie Israel mit den Palästinensern umgeht, übersteigt jeder Beschreibung. Man glaubt es erst, wenn man das mit eigenen Augen beobachtet hat. Leider, bekommt man hier durch die Medien und Lobbyisten oft ein total verzerrtes Bild von der Lage dort. Für seine ehrlichen und mutigen Worte sollten Sie besser, Sigmar Gabriel danken und nicht maßregeln.


Vorab, der SPD-Vorsitzende Gabriel hat mit seiner Äußerung gar stark untertrieben. Ich möchte Ihnen, was dort vor sich geht, einmal vor Augen führen.

Ich bin Deutscher palästinensischer Abstammung, in Haifa geboren und weiß wovon ich rede. Ich möchte hier differenzieren und werde, zwischen der abgeschafften Apartheid in Südafrika und dem, immer noch, nach über 45 Jahren existenten, Apartheidregime in Palästina, unterscheiden.

Das Apartheid-Regime in Südafrika hat die schwarze Bevölkerung nicht vertrieben. Im Gegensatz zu Israel, das die Besitzer des Landes Kanaan, die Gastgeberischen Palästinenser für die Aschkenasim, mit aller Gewalt vertrieben hat und immer noch vertreibt.

In Palästina werden die Einheimischen mit F-16 Fighting Falcon und Apache Hubschraubern bombardiert. Sogenannte Verdächtige werden außergerichtlich exekutiert. Oft werden ganze Häuserzeilen, Hochhäuser und Blöcke mit Raketen in die Luft gejagt, um einen angeblich Verdächtigen zu töten, in Kauf nehmend, dass so viele Unschuldige mit in den Tod gerissen werden. Vom Abwurf der Phosphorbomben, beim israelischen Kriegsverbrechen „gegossenes Blei“, auf die Menschen in Gaza gar nicht zu reden.

Das rassistische Israel hält schwangere Frauen an Checkpoints fest, sie werden daran gehindert, zum Krankenhaus zu gelangen, bis sie das Kind tot zur Welt bringen. Oft sterben sie auch mit. Das und ähnliche Schikane veranlassten den, inzwischen verstorbenen, Religionsphilosophen Yeshayahu Leibowitz, Israel als Judeo-Nazi-Staat zu bezeichnen. An den Checkpoints werden genauso Frauen, Kinder, Greise, Schülerinnen und Schüler fest gehalten, schikaniert und demütigt. Manche sterben an den Checkpoints, vor den glotzenden Augen der Soldaten, bei denen keine menschliche Geste sich rührt.

Dazu kommen die tagtäglichen Demütigungen, Erniedrigungen, Diskriminierung und Schikane aller Art, die die Palästinenser ununterbrochen, Tag ein Tag aus, ausgesetzt sind. Häuserzerstörungen, Landenteignung, Plantagen- und Felderrodungen und so weiter und sofort, abgesehen von der Apartheidmauer, die das Land der Palästinenser weiter zerfrisst und die Menschen total einschließt, sie von ihrem Wasser, von ihren Feldern und von der Außenwelt abschottet, stehen auf der Tagesordnung Israels.

Israel setzt rücksichtslos seine völkerrechtswidrige Siedlungspolitik in den besetzten Gebieten verstärkt fort und löst eine unvorstellbare Rüstungsspirale in der gesamten Nahost-Region aus und heizt die Kriegsstimmung bis zum platzen auf. Dabei wird übersehen, dass das aggressive Israel die einzige atomare Macht in der Region ist. Israel ist wohl der einzige Staat in der Region, der die größte Gefahr für den Weltfrieden darstellt.

In Israel sind zweierlei Rechtssysteme, für Israelis und für Palästinenser, ob mit oder ohne israelische Identität.

Bei allem Erwähnten handelt es sich in der Tat nur um einen Auszug dessen, was das Besatzerregime Israel mit seinen Gastgebern anstellt. Die nackte Wahrheit übersteigt jeder menschlichen Vorstellung.

Zum Schluss, möchte ich in Erinnerung rufen, dass die Würde des Menschen unantastbar sei. Das lehrt uns unsere Verfassung. Gilt diese Würde etwa nur hier in Deutschland, oder auch für andere Menschen?

Meine Herren Gröhe und Missfelder, Sie wollen doch nicht die Behandlung der Palästinenser durch Israel als menschenwürdig bezeichnen! Bitte mäßigen Sie sich in Ihren Auftritten. Wenn Sie dennoch für die israelischen Verbrechen gegen die Menschlichkeit eine Rechtfertigung, die Sie mit Ihrer Nazi-Vergangenheit begründen wollen, uns auftischen wollen, dann kann ich Ihnen nur eines empfehlen, geben Sie den Juden, denen in Nazi-Deutschland Unrecht getan wurde, das Land Hessen, das so groß sei wie Palästina. Hier sind Sie Ihren Günstlingen fiel näher und können Ihre „Staatsräson“, gegenüber dem Land Israel in Hessen, nach Herzenslust austoben. Für Ihre Vergangenheitsaufrechnerei zitiere ich einen Freund: „Wozu kann das Aufarbeiten vergangener Verbrechen dienen, wenn nicht der Verhinderung zukünftiger?" (Günter Schenk, Straßburg).

Israel hat keine andere Wahl, als letzte postkoloniale europäische Enklave, sich freiwillig in einen bürgerlichen und demokratischen Staat zu verwandeln. Israel muss sich seiner Geschichte der ethnischen Säuberung stellen. Aber die Ideologie, die es ermöglicht hat, 1948 die Hälfte der einheimischen palästinensischen Bevölkerung zu vertreiben, ist nach wie vor lebendig, und betreibt weiter eine unerbittliche, zuweilen unbemerkte ethnische Säuberung des Landes von ihren Besitzern.

Es gilt als sicher, dass die Palästinenser nicht dazu verdammt werden dürfen, die Verbrechen der deutschen Vergangenheit zu sühnen. Ihre Schulden, Herren Gröhe und Missfelder, sollten Sie gefälligst selber tilgen. Und wenn Sie sich auf die „Gnade der späten Geburt“ berufen sollten, dann kann ich Ihnen nur raten, benehmen Sie sich endlich als ehrliche und aufrechte Demokraten, die einem Unrecht laut und deutlich ins Gesicht schreien würden: „Das ist Unrecht.“ Solange Sie das nicht können, bleibt Ihnen nur eins, Schweigen.

Ich als Deutsch-Palästinenser fühle mich von Ihrem Gedankengut doch nicht betroffen. Mein Volk hat Israel und den Zionismus immer so gesehen wie es seinem Wesen nach ist: brutal, expansiv und menschenverachtend. Die Deutschen hingegen hängen aus falsch verstandenen Schuldgefühlen einem romantischen Israel-Bild an, das es in der Realität gar nicht gibt. Man könnte fast schadenfroh sagen, es geschieht Ihnen recht!

Ich kann meine deutschen Landsleute nur empfehlen, endlich den Kriechgang aufzugeben und aufrechten Hauptes diesen Unverschämtheiten Israels entgegenzutreten.


Siehe auch:
http://www.muslim-markt.de/interview/2007/musa.htm


Dieser Text erschien  bei achgut 22.03.2012:


Henryk M. Broder kommenteirt (HMB wird bedrängt, ja gezwungen, meine Texte zu veröffentlichen und versucht natürlich lächerliche zu ziehen und macht sich selbst dabei lächerlich). Er macht ja sogar Reklame für mich, indem er mein Interview mit MuslimMarkt hinweist, in dem den Link unter dem Text angibt:

Sprechstunde bei Dr. Musa

Vor zweieinhalb Jahren hat uns Dr. Izzeddin Musa einen Text zum Abdruck angeboten, was wir als die führende pro-palästinensiche Seite natürlich getan haben. Nun hat sich Dr. Izzeddin Musa wieder bei uns gemeldet und einen neuen Text geschickt, in dem er seinen „deutschen Landsleuten“ erklärt, wie sie ihren Judenknacks überwinden, „endlich den Kriechgang aufgeben und aufrechten Hauptes“ Israels Unverschämtheiten „entgegentreten“ könnten. Wir finden auch diesen Text so bemerkenswert, dass wir ihn unseren Lesern nicht vorenthalten wollen. Hier also kommt der Offene Brief von Dr. Izzeddin Musa an die CDU-Abgeordneten und Israelfreunde Gröhe und Missfelder:



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